„Eine gestrichelte Linie, sie zu trennen und teilen – im Angesicht des Todes, sie ungleich zu heilen.“ Ein Reim auf kleine Ungereimtheiten, die grosse Fragen aufwerfen.

Dieser Artikel erschien am 03. August 2021 auch in „Die Ostschweiz“.

Im November des vergangenen Jahres tauchte sie plötzlich auf: Die Linie, welche all jenen einen Strich durch die Rechnung machte, die das schweizerische Gesundheitswesen als ausreichend stark erachtet hatten, um der wütenden zweiten Welle standhalten zu können. Eingebettet in die von SRF aufbereitete Grafik zur Auslastung der Intensivstationen wies uns diese starre Horizontale fortan darauf hin, dass es zwischen zertifizierten und unzertifizierten ICU-Betten zu unterscheiden gilt. Doch irgendwie scheint der Strich im Laufe dieses Sommers abhanden gekommen zu sein.

Aber der Reihe nach…

Der graue Bereich derselben Grafik zeigte uns stets undifferenziert die gesamte Anzahl verfügbarer Intensivplätze – eine dynamische Kurve; auffällig dabei die beinahe inflationäre Antwort des Gesundheitswesens auf die erste Welle im März 2020 mit über 1500 zur Verfügung gestellter Betten. Als sich dann im Herbst die Hilferufe scheinbar kollabierender Spitäler zu häufen begannen, wurde zurecht die Frage gestellt, warum denn die zeitweise auf unter 1000 gesunkene Bettenzahl nicht wieder auf ein ähnliches Niveau erhöht werden könne.

Doch wie erwähnt wurden die Träumereien einer flexiblen Kapazität durch die gnadenlos gerade Line der zertifizierten Intensivplätze jäh durchkreuzt. Es war die Schweizerische Gesellschaft für Intensivmedizin (SGI), die den Anlass dazu gab. In einer Stellungnahme vom 17. November 2020 schrieb die SGI: „Die 876 von der SGI zertifizierten und anerkannten Intensivbetten, die in der Schweiz normalerweise zur Behandlung Erwachsener zur Verfügung stehen, sind aktuell praktisch vollständig belegt.

Gute Betten, schlechte Betten

Visuell einwandfrei aufbereitet durch die SRF-Grafiker teilte die gestrichelte Linie fortan die Intensivplätze ein in gute und in schlechte Betten. Nicht zertifizierte, sogenannte „Ad Hoc“-Behandlungsplätze, könnten unter Umständen eine adäquate Versorgung der Patienten nicht sicher stellen. SRF schreibt dazu: „Diese sind zusätzliche Betten, die temporär in anderen Bereichen in den Spitälern – etwa Operationssälen oder Aufwachräumen – aufgebaut werden, aber nicht durch die SGI zertifiziert sind.

Aufkommende Kopfkinoszenen von Intensivpflege neben der Kaffeemaschine im Pausenraum werden nicht gerade neutralisiert, wenn man des Weiteren liest; „Kommen Ad-Hoc-Betten zum Einsatz, muss deshalb mit Abstrichen in der Behandlungsqualität gerechnet werden.“ Allerdings wird dabei unweigerlich die Frage aufgeworfen, wie unser 8,7-Millionen-Einwohner-Staat bis anhin seine Kranken mit 876 zertifizierten Intensivbetten davor bewahrt hatte, vom Spital-Hausmeister notoperiert zu werden.

Das leise Ende der Linie

Entsprechend horrend tönten unter den neuen Gegebenheiten natürlich die Zahlen zur Auslastung der Intensivplätze, wobei nun die unglückselige Linie das neue 100% markierte. Gebannt beobachteten wir, wie die Spitzen der rosaroten Auslastungs-Kurve knapp aber – Gott sei dank! – dennoch daran vorbei schrammten. Mit dem Frühling und der damit einhergehenden Entspannung in den Spitälern liess dann das Interesse für diese Grafik allmählich nach – zumindest beim Verfasser dieser Zeilen.

Umso grösser ist das Erstaunen über die Feststellung, dass besagte Linie – die Trennung zwischen Gut und Böse, der Grat zwischen Leben und Tod – mittlerweile klammheimlich verschwunden ist! Ein Schelm, wer Böses denkt, aber die Betrachtung der stetig sinkenden grauen Kurve provoziert einen Verdacht, der sich durch eine kurze Kopfrechnung bestätigen lässt: Stand 27. Juli 2021 verfügt das Gesundheitswesen gesamtschweizerisch nur noch über 868 Intensivplätze. Werden also nun – trotz andauernder Pandemie, trotz proklamierter vierter Welle, trotz Delta – sogar schon die zertifizierten Betten abgebaut?

Gut möglich also, dass das leise Verschwinden der gestrichelten Linie dazu dient, brisante Fragen wie diese zu vermeiden. Diese These würde allerdings bedingen, dass SRF seine journalistischen Pflichten vernachlässigt, und dies zur Unterstützung einer politischen Agenda Seitens des Bundesrats. Doch Theorien, die verschwörerische Machenschaften zum Inhalt haben, wollen wir an dieser Stelle nicht verbreiten. Wir wollen lediglich Antworten auf solch dringliche Fragen – und keine Verar*ung nach Strich und Faden!

Quellen:

Grafik SRF: https://www.srf.ch/news/schweiz/ips-monitor-wie-ausgelastet-sind-die-intensivstationen-wegen-corona

Stellungnahme SGI: https://www.sgi-ssmi.ch/files/Dateiverwaltung/COVID_19/Stellungnahmen%20SGI/IMSGCVCM_Stellungnahme_COVID-19_201117_DE_10.pdf

3 Kommentare

  1. Timo meint: 2. August 2021
  2. Haueis meint: 31. Juli 2021
  3. Theres meint: 31. Juli 2021

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