Portugal und die Berge – ein Kapitel, welches vielen Leuten unbekannt ist. Wer sich unter dem kleinen Land ganz im Westen Europas überhaupt etwas anderes vorstellen kann als einen „separaten Teil von Spanien“, denkt wohl eher an die weissen Strände der Algarve oder die Surferparadiese der wilden Atlantikküste.

Doch nur rund hundertfünfzig Kilometer Land einwärts vom Badeort Figueira da Foz erhebt sich der westlichste Teil des Iberischen Scheidegebirges: Die gewaltige Serra da Estrela, welche sogar eingefleischten Alpenländern ihr süffisantes Lächeln im Gesicht einfrieren lässt, zu welchem sie durch die Erwähnung von Bergen im Zusammenhang mit Portugal animiert worden sind. Fast zweitausend Höhenmeter müssen auf dieser Strecke überwunden werden, bis man den Torre erreicht, der mit 1993 Metern als oberster Gipfel über dem höchsten Gebirge des portugiesischen Festlands thront.

Sympathischerweise ist es von unserem Zuhause aus nur ein Katzensprung bis in die faszinierende Welt des Sternengebirges, wie der Name Serra da Estrela auf deutsch übersetzt heisst. Hinter der Universitätsstadt Covilhã streckt und reckt sich der Gesteinsrücken dem Firmament entgegen und oft herrschen in den oberen Lagen garstige Verhältnisse. Doch zugleich zählt das Gebiet zu einem der magischsten Orte auf unserem Kontinent. Bizarre Formationen aus Granitstein, der über Jahrtausende der extremen Witterung ausgesetzt war, säumen die Strassen und Wanderwege. Die Aussicht schenkt einem den Glauben, von hier aus die ganze Welt überblicken zu können.

Serra da Estrela im Sommer

Im Sommer lockt die vielfältige Natur fern vom Massentourismus der Strände zum erfrischenden Bad an einem der traumhaften Bergsee-Strände. Es mögen Stunden vergehen, bis man auf den kurvigen Strassen einem anderen Verkehrsteilnehmer oder in der Stille der Bergwelt einer anderen Menschenseele begegnet. Ein ganz anderes Bild zeigt sich in der kurzen aber sehr belebten Wintersaison: Tausende Portugiesen strömen aus allen Teilen des Landes auf die verschneiten Gipfel der Serra. Dass wir aus der Schweiz nach Portugal ausgewandert sind um in nur einer Stunde Entfernung von unserem neuen Zuhause ein Skigebiet vorzufinden, ist an Skurrilität kaum zu überbieten!

Vergangene Woche wagten wir zusammen mit unserem Besuch einmal mehr einen Ausflug zum Torre. Um diese Jahreszeit hätten wir eher mit einem Schneesturm gerechnet, als mit einer Horde Touristen, welche den Schnee stürmt. Aber die ersten Frühlingstage nach einem langen Winter nahmen viele Einheimische zum Anlass, das verlängerte Wochenende um den Nationalfeiertag noch einmal in der weissen Welt der Serra da Estrela zu verbrigen. Etwas entfernt von den Pisten fanden wir dann doch noch die Magie der Einsamkeit, die wir unserem Gast versprochen hatten.

Serra da Estrela im April 2016

Wie in einer Kirche verfallen wir der allesumfassenden Stille, doch versperren keine Mauern unsere Sicht und unser Denken. Wir sind auf der Höhe – körperlich und geistig. Es schmiegen sich die Gedanken darum, was es bedeuten mag „auf der Höhe der Zeit“ zu sein, welche Werte und Normen, nach denen wir unser Dasein bestreiten, noch zeitgemäss sind. Ist es nicht sogar höchste Zeit die irrationalen Ängste der (ein-) gebildeten Gesellschaft zu überwinden und nach dem zu streben, von dem man tief im Innern weiss, dass es richtig ist?

Auf der Fahrt zurück in die „Cova da Beira“, die Ebene, die sich zwischen der Serra da Estrela und unserem „Hausberg“ Serra da Gardunha erstreckt, erleben wir die Ankunft des Frühlings im Zeitraffer. Das portugiesische Wort für Höhe – altura – wird auch im zeitlichen Sinne angewandt. Dessen erinnern wir uns, als wir das fruchtbare Tal mit all seinen Gärten durchqueren. „O que podemos plantar nesta altura? (Was können wir zu dieser Jahreszeit anpflanzen?)“

Die Umstellung des Fahrplans für das Gartenjahr hatte uns zu Beginn ziemlich Mühe bereitet. Auch jetzt mit bald drei Saisons Erfahrung ist die Frage nach dem richtigen Pflanzzeitraum nicht einfach zu beantworten. Aber wenn wir nach dem Ausflug in die Berge das Auge wieder von Fernsicht auf Nähe eingestellt haben, erfreut es sich am Anblick von satt behangenen Erbsen- und Saubohnenstauden, Kohlköpfen und den spriessenden Kartoffeln. Ein Blumenmeer aus unzähligen Farben ziert unseren Lebensraum und in den Anzuchtbereichen wachsen Auberginen, Tomaten und Peperoni, Kürbisse, Melonen, Spinat, Pflücksalat und vieles mehr.

Erbse "Blauschokker"

Wir dürfen also feststellen, dass wir, wenngleich es noch viel zu tun gibt, auch in diesem Bereich auf der Höhe sind. Um dies zu erkennen, benötigt es manchmal so einen Ausflug ins Gebirge, denn es gibt Momente, wo uns die zu erreichenden Aufgaben selbst als unüberwindbare Berge vorkommen mögen. Sicher werden wir euch auch von anderen Reisedestinationen rund um unsere neue Heimat berichten – doch die Serra da Estrela wird uns bestimmt nicht zum letzten Mal in ihren tausend Quadratkilometer umfassenden Naturpark gelockt haben, in dem es noch so viele eindrückliche Gipfel, naturbelassene Täler, glasklare Gebirgsflüsse und malerische Dörfer zu erkunden gibt.

1 Kommentar

  1. Cristina Kuster meint: 16. Mai 2016

Eine Antwort hinterlassen