Ein Gedicht.
Ich bleibe nicht drin
Niemand sperrt mich ein
Jeder Widerstand stirbt mit der Zeit
Ich bin die Träne in deinem Gesicht
Ich bin die Träne des Mitleids, die durch deine Mauern bricht.
Wo immer jemand seinen Traum verliert oder seine Existenz oder den Traum seiner Existenz, da werde ich geboren. Ich bin bei jedem, der jetzt erst erwacht, ohne je geträumt zu haben.
Ich bin die Träne der Verzweiflung, die im Mantel der Nacht ins Mondlicht tritt.
Wenn sich die Gedanken nicht ermüden dem Körper gleich, dann funkle ich auf, wenn ein Lichtstrahl mich trifft. Ich bin da, wenn dein Kopf die Last der Leere nicht erträgt und die unvollendeten Gefühle im Nichts versickern.
Ich bin die Träne des Zorns, die sich wie heisses Wasser in deine Wangen frisst.
Das Unvermögen und die unfassbare Anmassung zugleich, mit allen ins Gericht zu gehen, die selbst verloren sind, die Ignoranz und der Hass – darauf gedeihe ich, davon zehre ich.
Ich bleibe nicht drin
Niemand sperrt mich ein
Jeder Widerstand stirbt mit der Zeit
Ich bin die Träne in deinem Gesicht
Ich bin die Träne der Dankbarkeit, in der dein Weltbild verschwimmt.
Mein Quell sind die Opfer, die auch der Schwache erbringt; ich bin da, wo sich die Hand gereicht wird und das Auge Jahrhunderte alte Barrieren der Ignoranz zerbricht. Ich bin überall, wo die Menschlichkeit aufersteht und die Selbstsucht stirbt.
Ich bin die Träne der Befreiung, die dir deine Last entreisst.
Wo gelacht wird, wo getanzt und musiziert wird und sich der Humor in all seinen Facetten selbst glorifiziert, da zeichne ich ein Licht in den trüben Tag. Ich trage in mir das Salz der Angst, und damit entschwinde ich für einen Moment.
Ich bin die Träne der Nostalgie, die du kaum bemerkst.
Zwischen den Parolen von Mut und vorwärts gerichtetem Denken verharre ich still und warte auf die leeren Sekunden, wo sich etwas, an dem sich jemand festhält, unweigerlich in die Vergangenheit verschiebt.
Ich bleibe nicht drin
Niemand sperrt mich ein
Jeder Widerstand stirbt mit der Zeit
Ich bin die Träne in deinem Gesicht
Ich bin die Träne der Enttäuschung, die nicht sein darf in dieser Zeit.
Wo sich jemand vergessen fühlt und keinen Applaus erhält, da trage ich bittere Säfte aus dem Herzen ans Licht. Wo jemand kämpft und die Stellung hält, einsam auf einem Feld, wo keine Toten liegen, sondern Leben entsteht.
Ich bin die Träne der Hoffnung, die du so sehr ersehnst.
Wenn die Zeit langsam geht und der Lärm erstirbt, gedeihe ich. Ich erwache, wenn sich ein neues Gefühl in der nun reinen Luft verbreitet, und wo immer sich eine einst geblendete Seele in die Natur verliebt, da blühe ich.
Ich bin die Träne der Empörung, welche die Angst vergisst.
Jeder kennt mich, der noch immer an einem Zaun aus Stacheldraht steht, irgendwo auf dieser Welt. Ich bin da, wo die Gewehre noch immer geladen sind. Wo Menschen vergessen werden, verhungern und beraubt werden, da verdunste ich nicht.
Ich bleibe nicht drin
Niemand sperrt mich ein
Jeder Widerstand stirbt mit der Zeit
Ich bin die Träne in deinem Gesicht
Ich bin die Träne der Verwirrung, die dein Gesicht verklebt.
Schwarz und zähflüssig, will ich nicht weichen, wo immer jemand ist, der mich abzuwaschen versucht. Ich hafte an jedem klaren Gedanken, der einem gesunden Verstand entspringt, und das Wasser ist trüb, so dass kein Blick in die Tiefe dringt.
Ich bin die Träne der Fassungslosigkeit, die alles mit sich reisst.
Ein fester Tritt, ein warmer Stein, ein Moment der Klarheit inmitten des Sumpfes aus Zahlen und Informationen, Angst und Verderben – da rinne ich leise über die Wangen jener, die nicht mehr begreifen können und nicht mehr glauben wollen.
Ich bin die Träne der unterdrückten Vernunft, die im Verborgenen vergossen wird.
Wo das Tier auf dem Weg zur Schlachtbank plötzlich zweifelt am Gemeinschaftssinn, wo der Gedanke an das Undenkbare um die Herrschaft ringt, da winde ich mich wie ein blinder, schleimiger Wurm durch den Treibsand im Stundenglas dem Ende zu.
Ich bleibe nicht drin
Niemand sperrt mich ein
Jeder Widerstand stirbt mit der Zeit
Ich bin die Träne in deinem Gesicht
Die Träne
Manuel Kuster
Aus den tiefsten Brunnen entspringen wahrliche Schätze. Die Schwermütigkeit verfällt in Stücke, gleitet zu Boden und lässt neues Leben entstehen. Keiner kann das Leben aufhalten, es sucht sich seinen Weg durch die kleinsten Ritzen und aus einer ist dieses Gedicht ans Licht getreten! Schön den Tönen des Lebens zu lauschen, die du in schillernden Farben zeichnest..
Ich bin überwältigt von deinem Gedicht. Das Du schreiben kannst, Manuel, das weiss ich ja. Ob nun fundierte Erkenntnisse an die Regierungsstelle in Portugal in Bezug auf die Bedrohung durch eine falsche Landwirtschaftspolitik.
Aber dieses Gedicht ist mir, in dieser zwangsverordneten Besinnungszeit, einfach nur Glückseeligkeit……….COOL 🌀🌈🤗
Wow, dein Gedicht geht mir unter die Haut. So stark und klar, facettenreich und inspiriert-inspirierend – gesegnet mit dem Kuss der Muse. DANKE lieber Manuel für diese wundervolle Transformation der momentan dichten Energien!