Lieber Herbst
Mit diesen Zeilen möchten wir dich offiziell bei uns Willkommen heissen. Du bist nun schon einige Zeit hier; hast dich eingeschlichen und klammheimlich die Tage verkürzt, das Licht etwas gedämpft und die Intensität der Farben der Welt erhöht. Vielleicht waren wir noch etwas zu erschöpft von den langen und heissen Sommermonaten, von deren Last du uns nun befreit hast; jedenfalls hatten wir deine Ankunft nicht gleich bemerkt. War es dein Wunsch nach mehr Aufmerksamkeit, der dich dazu veranlasst hat, die grosse Bühne der Jahreszeiten schon dem Winter für ein kurzes Stelldichein zu überlassen? Nun, an diesem kalten Morgen des 8. November wandern die klammen Finger des Chronikschreibers über die Tasten um dir endlich die gebührenden Worte der Ehrerbietung zukommen zu lassen.
Der Herr der Erneuerung bist du ohne Zweifel hier in Portugal, Senhor Outono, denn auf grünen Teppichen zarter Grashalme schwebst du daher, und deine Legionen von starken Winden vertreiben den Staub von Dürre und Hitze; auf dass alle Oberflächen der Welt rein sind, wenn du sie mit goldenem Licht besprühst. Gross ist deine Macht fürwahr, denn du gibst und nimmst wie es dir gefällt; nicht jedoch ohne das Auge des wahren Künstlers, der virtuos zuerst den Weinberg in grellen Tönen verziert und sich dann unaufhaltsam in die tiefen Wälder schleicht und die Hügel erobert mit seinem feinen und unerbittlichen Pinselstrich. Noch gewanden sich die belaubten Geschöpfe in farbigen Kleidern, doch bald werden sie Stück für Stück, Blatt für Blatt, ihre Hüllen in völliger Hingabe für dich fallen lassen – und deine Winde bitten das braune Laub zum sinnlichen Tanz.
Nun, Worte vermögen vieles – aber können sie auf das launische Karussell der Jahreszeiten Einfluss erwirken? Müssig mag es daher sein, an dich, grosszügiger Meister Herbst, die inständige Bitte zu richten, noch einige Zeit mit uns zu verweilen. Stell dich dem Winter in den Weg, denn deine Tage sind noch nicht gezählt! Erst haben wir begonnen, uns an deinen reichen Gaben zu ergötzen: köstliche Pilze schiessen endlich aus den wohlig nach Feuchtigkeit riechenden Böden und edle Kastanien lassen sich von den mächtigen Bäumen fallen um Mensch und Tier zu nähren und zu verzücken. Die ersten Fröste, die du zuliessest um uns der Vergänglichkeit zu erinnern, vertreibe! Sie vermochten die letzten heranreifenden Früchte des Sommers nicht zu zerstören – so lass sie in mildem Sonnenschein ihre Bestimmung erfüllen.
Danke, dass du deine Wolken ausgesandt hattest, uns Regen zu bringen. Die satte Wiese erobert die trockenen Landstriche zurück. Blumen recken sich gen Himmel um dich zu ehren. Nichtig erscheint diese weltliche Laudatio in anbetracht der Schöpfung – vielleicht war dies der Grund, warum wir dir jetzt erst, in deinen letzten Wochen, diese Worte widmen. Oder aber es mag sein, dass sich der Chronikschreiber dagegen gesträubt hat, auf den Sommerbericht im folgenden Eintrag schon wieder über die neue Jahreszeit zu erzählen – denn diese Tatsache stellt in gewisser Weise seine Versäumnisse in Bezug auf regelmässigere lyrische Buchführung bloss. Wohl denn, deine frostige Warnung war ihm heute Befehl genug, doch nun muss die Schrift ein jähes Ende finden. Denn herbstzeitlos sind wir in diesen sich verkürzenden Tagen, während der Herbst zeitlos ist in seiner Pracht – und barmherzig genug, dem Verfasser seine Vorliebe für Wortspielereien zu verzeihen.
Hab heute den Film „tomorrow“ gesehen und denke, genau ihr macht das richtig. Träumer leben und erleben – eben !
Immer wieder herrlich wie du mit den Worten jonglierst ?!