Das Wetter prägt allem Anschein nach die Sommerferien. Aber nicht nur die Himmel öffnen ständig ihre Schleusen – auch in der Politik hagelt es immer härtere Parolen. Tabus brechen wie die Dämme unter dem Hochwasser der Flüsse und Seen. Und während der Delta-Orkan abflaut, bevor er überhaupt ein laues Lüftchen zustande gebracht hat, sorgt der Gesundheitsminister selbst für ein Unwetter, welches uns mittels betonter und an Arroganz kaum zu überbietender Nonchalance als kleiner Platzregen verkauft werden soll.

Dieser Beitrag erschien am 1. August 2021 auch aufInside Paradeplatz, sowie am 2. August 2021 in Die Ostschweiz„.

Da versprechen uns die Wetterfrösche heiter Sonnenschein und am Ende des Wegs sind wir in unseren triefenden Klamotten von einem nassen Handtuch kaum mehr zu unterscheiden. Auf einer Bergwanderung von einem plötzlichen Regenschauer kalt erwischt werden: wer hat das in den vergangenen Wochen nicht schon am eigenen Leib erlebt? In diesem launischen Sommer werden aber nicht bloss die meteorologischen Vorhersagen, sondern in noch erschreckenderem Ausmasse die Corona-Prognosen und politische Versprechungen von der Realität eingeholt.

Der Berufs-Ethos des Gesundheits-Admirals

Auch wenn es an sich schon fragwürdig erscheint, dass sich die politischen COVID-Kapitäne mitten in der schaukelnden Kreuzfahrt über den wellenreichen Pandemie-Ozean in die Ferien verabschiedet und uns mit der Erschliessung neuer Öffnungshorizonte bis zum 11. August vertröstet hatten – insgeheim freuten wir uns über die paar Wochen, in denen wir Passagiere nicht ständig autoritäre Mitteilungen und kryptische Anweisungen über uns ergehen lassen müssen.

Wir begnügten uns mit spärlichem Sonnenschein und der Aussicht auf vollständige Aufhebung praktisch aller Massnahmen (inklusive COVID-Zertifikat), welche uns versprochen wurde, sobald sich all jene haben impfen lassen können, die das wünschen. Und wir konstatierten diesen Punkt als erreicht, da die Impfzentren reihenweise schliessen und die Nachfrage nach dem süssen Gift der Freiheit allen Drohungen zum Trotze immer rasanter einbricht.

Aber wir unterschätzten den Berufs-Ethos von Gesundheits-Admiral Berset, der sogar in den Ferien das Ruder nicht locker lässt. Ihm genügen ein paar schwarze Inzidenz-Wölkchen am Himmel um einen bevorstehenden Delta-Orkan zu detektieren, den es unbedingt zu umschiffen gilt. Zwei Wochen vor der nächsten Bundesratssitzung und entsprechend einer möglichen Konsultation bei den Kantonen bezüglich Änderungen der Massnahmen weiss Alain Berset genau: Das sieht nicht gut aus. Mit dieser enormen Weitsicht übertrifft der Berufspolitiker die Fähigkeiten eines jeden Meteorologen – pardon: Epidemiologen – bei weitem.

Emojis und Selbstbemächtigung

Stellen Sie sich vor, das Openair St. Gallen würde zwei Wochen vor der Durchführung abgesagt, weil der Föhn im Rheintal gerade nachlassende Tendenz zeigt! Nur, dass es hier um einen mutmasslichen Vertrauensbruch an Millionen von Menschen geht, deren Leben und Freiheiten nach wie vor stark durch die Massnahmen eingeschränkt sind. Doch selbst das Openair hätte wohl den Anstand die Hiobsbotschaft mittels einer formellen Erklärung oder gar einer Medienkonferenz zu verkünden. Und was erhalten wir vom Bundesrat? Einen Tweet.

Keine Erklärungen, keine Rechtfertigungen, keine offizielle Kommunikation – das bedeutet vor allem eines: keinen Respekt. Nicht gegenüber den Bürgern, der Freiheit und den Grundrechten. Und auch nicht gegenüber den Kantonen. Ist es nur fehlender Anstand oder gar schon eine unzulässige Selbstbemächtigung von Seiten des Gesundheitsministers, der (mittels Telefonhörer-Emoji) zu verstehen gibt, lediglich mit Lukas Engelberger und weiteren GDK-Mitgliedern telefoniert zu haben? Sieht so die Kompetenz der Kantone in der „besonderen Lage“ gemäss Epidemiengesetz aus?

Der Verweis auf eine „negative Dynamik“ ist in seiner Fadenscheinigkeit geradezu beleidigend, während die anscheinend nicht vorhersehbare „Unsicherheit“ in Bezug auf die Ferienrückkehrer nur noch in donnerndes Gelächter versetzen kann. Doch das Lachen erstirbt so rasch, wie sich der Sturm zuweilen verzieht. Denn das wirklich stürmische Potential dieser weitreichenden Entscheidung soll offenbar als harmloses Sommer-Getwitter mit maximal 240 Zeichen Niederschlag möglichst rasch an unserer Aufmerksamkeit vorbei ziehen. Dennoch hinterlässt es Schäden von noch unbekanntem Ausmass in Form von Vertrauensverlust und vielen offenen Fragen.

1 Kommentar

  1. Sandra Cranor meint: 2. August 2021

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