Die Sehnsucht danach, selbst Wein herzustellen, begleitet uns, seit wir seinem Genuss anheim gefallen sind. Denn verführerisch ist es, dem klaren Lied eines sich füllenden Glases zu lauschen, das Licht sich in der Farbe brechen zu sehen und die Seele der Frucht tief in sich einzuatmen. Im Spiegel des herrlichen Weins lässt sich eine Reise in die Vergangenheit unternehmen, denn in seinem Duft und seinem Geschmack, die sich in ihrer Vielschichtigkeit zu überbieten trachten, ist die Verwandlung der Rebe im Laufe der Jahreszeiten ebenso spürbar wie die lange und bewegte Geschichte des edelsten aller Getränke. Nach Jahren des Träumens bereichern nun endlich auch unsere eigenen Erinnerungen den Zauber des Weins, der unsere abendliche Tafel adelt.

Unbeeindruckt von den Wirren der Geschichte überdauerte die Faszination des Menschen für den Wein von der Antike bis zur Gegenwart. Dionysos, der griechische Gott des Weins, trat zu einem Siegeszug in die ganze Welt an – und er prägte Landschaft und Gesellschaft gleichermassen: In den frühen Tagen der Medizin wurde seine heilende Wirkung gepriesen und die Kirche erhob den Rebensaft zu einem der zentralen Bestandteile ihrer Symbolik. Über die Jahrhunderte entstanden Weinbaugebiete von atemberaubender Schönheit und beeindruckender Genialität. Künstler und Denker fanden ihre Inspiration in diesem magischen Getränk, dessen Genuss zuweilen auch in hemmungslosen Festen und Gelagen enden konnte – denn Dionysos ist auch der Gott der Ekstase und des Rausches. Sünde und Segen, Heilmittel und Gift; mit dem doppelgesichtigen Temperament des Weines ist in jedem Fall Vorsicht geboten. Oder wie William Shakespeare es ausdrückte:

 

Guter Wein ist ein gesellig Ding, wenn man mit ihm umzugehen weiss!

 

Die andere Wahrheit im Wein

Geselligkeit, Entspannung aber vor allem auch Genuss sind für uns persönlich die Eigenschaften, welche unsere Liebe zu gutem Wein ausmachen. Die Qualität kann im Übrigen genau so differenziert wahrgenommen werden, wie der Geschmack selbst. Ein feiner Tropfen kann, muss aber nicht teuer sein. Speziell seit wir in Portugal leben, haben wir unsere Begeisterung für einfachen Landwein entdeckt und nur zwischendurch gönnen wir uns auch mal etwas Komplexeres, sofern wir das als absolute Laien überhaupt beurteilen können. Ein Wein sollte auch nicht zuerst verstanden werden müssen, sondern in der Regel bloss eines sein: ehrlich.

In Vino Veritas (im Wein liegt die Wahrheit) sprachen die alten Römer, die mit Bacchus ebenfalls einen Weingott verehrten. Es ist naheliegend, dass die entspannende Wirkung von Wein die Zunge lockert und einem Angetrunkenen zuweilen Wahrheiten entlockt werden können, die er nüchtern lieber für sich behalten hätte. Der Autor dieser vorliegenden Zeilen möchte aber glauben, dass für die Römer viel mehr die im Wein enthaltene und noch immer spürbare Kraft der Erde, aus der er entstammte, als Wahrheit im Sinne von Reinheit und Ehrlichkeit gemeint war. Diese Haltung war und ist der Ansporn dafür, dass wir uns vor einigen Jahren auf die Suche nach dem wahrhaftigen, reinen Wein gemacht haben, welcher, dessen sind wir uns sicher, nur mit eigenen Händen, Füssen, Ideen und Träumen erschaffen werden kann.

 

Bacchus lässt die Reben spriessen

Touriga Nacional

Wir baten also um Bacchus‘ Segen, stiegen in die Sandalen des Dionysos und begannen vor mittlerweile über fünf Jahren mit dem Pflanzen der ersten Rebstöcke auf unserer Quinta das Figueiras. Bei der Auswahl der Castas (portugiesisch für Rebsorten) liessen wir uns leiten von Weinen, die uns stets ausserordentlich gut gemundet hatten, aber auch von der Standortverträglichkeit, wobei wir in beiden Bereichen nicht auf grosses Hintergrundwissen zurückgreifen konnten. Wir entschieden uns für zwei verschiedene Traubensorten: Syrah und Touriga Nacional, derweil letztere aus dem Dourotal stammt und nur in Portugal zuhause ist. Sie ist eine von vielen Castas, die hier die Jahrhunderte überdauert haben, ohne durch international populäre Weinsorten ersetzt worden zu sein. Unser bescheidener Weingarten wurde ergänzt um einige Stöcke Moscatel tinto, einer Tafeltraube, die in der Rotweinherstellung kaum Beachtung findet.

Geduld und Hingabe waren alsbald die Eigenschaften, welche den angehenden Erben des Dionysos abverlangt wurden, denn auch ein sehr kleiner Weinberg wächst nicht in einem Jahr heran und bedarf regelmässiger Pflege im Verlauf der Jahreszeiten. Und wer trotz Freude im Herzen die Pflichten aus Unwissenheit vernachlässigt, bezahlt mit noch mehr Zeit: So ist es uns ergangen, doch dank nachbarschaftlicher Wissensvermittlung erlernten auch wir die Grundlagen des Weinbaus. Der richtige Schnitt, das Anbringen von Spalieren, Ausbrechen, Hochbinden… All dies war Neuland für uns doch nach fünf Jahren des Wartens gediehen unsere Traubenstöcke prächtig und somit durften wir im vergangenen Sommer endlich mit der ersten richtigen Ernte liebäugeln. Wein ist der Trank der Liebenden, doch die Liebe wächst schon beim bemüssigten Gang entlang der Rebzeilen und lässt Poesie entstehen, wie jenen treffenden Reim von Ludwig Tieck:

Bacchus lässt die Rebe spriessen,

Saft durch ihre Blätter fliessen,

Lässt sie weiche Lüfte fächeln,

Sonnet sie mit seinem Lächeln.

 

Doch es war kein gutes Weinjahr in der Region, das Wetter war im Frühsommer ungewöhnlich kalt und nass und die plötzliche Hitze Anfang August war wie ein Schock für die heranreifenden Früchte. Viele Bauern hatten grössere Ausfälle zu beklagen. Auch unsere Syrah-Trauben litten unter den Bedingungen und gaben nicht viel her, doch dafür sprangen einige der alten Weinstöcke, die bereits auf der Quinta vorhanden waren, in die Bresche: Sie waren komplett verwildert gewesen und mussten von uns zuerst gesundgepflegt werden. Jetzt trugen sie so viele Trauben, wie noch nie seit wir hier leben. Letztendlich war es aber den resistenten und produktiven Moscatel-Reben zu verdanken, dass es für eine Weinproduktion reichen würde. Trotz der Vorbehalte gegenüber dieser Traubensorte wollten wir uns der neuen Herausforderung stellen. Ungeduldig und vorfreudig warteten wir auf den richtigen Erntezeitpunkt, der Anfang September endlich gekommen war!

 

Ekstase in der Adega

Die Poesie befällt auch den Autoren selbst, wenn er an diesen herrlichen Septembertag zurückdenkt, den wir für unsere erste Traubenernte auserkoren hatten:

Schwarz und prall mit Säften gefüllt hing die Traube im Spätsommer schwer an der Ranke und bat darum, geadelt zu werden;

 sie selbst erinnerte sich schon nicht mehr der Wochen, als sie noch im grünen Kleide hungrig das Mahl der Erde mit all ihren Gewürzen in sich aufgesogen hatte.

 Längst verflossen auch die Zeit, wo sie ungezeugt, doch nach Befruchtung lechzend, als Blüte sich gewandet hatte.

 In der Traube lieblicher Süsse erklangen stille Lieder noch ferner Tage der Glückseligkeit.

 

Wir begannen zeitig in der Früh, als die Früchte noch die Kühle der Nacht in sich trugen, und noch vor dem Mittag hatten wir die ganze Ernte eingefahren. Dies zeigt auf, wie bescheiden der Ertrag war, welcher uns unser kleiner Weinberg beschert hatte. Das kam uns jedoch vorerst entgegen, denn den folgenden Prozess des Entrappens (das Ablösen der Beeren von den Stielen und Rispen) hatten wir gänzlich von Hand ausgeführt. Dieser erste Schritt in Richtung Weinherstellung war sehr aufwändig, und wenn unsere Reben weiterhin so schön gedeihen und Jahr für Jahr mehr Trauben liefern, sollten wir uns besser mechanische Unterstützung besorgen.

Weinreigen in der provisorischen Adega

Nach und nach leerten sich aber die Harasse und der bereitstehende Bottich in der provisorischen Adega wurde mit den Trauben gefüllt. Jetzt kam der heiterste Teil des Verfahrens, nämlich das Stampfen der Trauben mit den nackten Füssen. Nach alter portugiesischer Tradition machten wir ein Fest daraus: Mit Musik und Wein stampften und tanzten wir uns zur Ekstase. Wir lachten und sangen, wir fühlten uns, als wären die antiken Götter dabei, mit uns ein rauschendes Fest – eine Dionysie – zu Ehren unserer Ernte zu feiern. Draussen dämmerte es schon, als genug Saft aus den Trauben gepresst war und die Beine langsam nicht mehr mittanzen mochten. Es war Zeit für eine Ruhepause – für uns und auch für den werdenden Wein.

In den folgenden Tagen musste die Maische jeweils morgens und abends bewegt werden, bis nach ungefähr zwei Wochen die Gärung so gut wie abgeschlossen war. Dann wurde der Trester abgefiltert und der junge Wein in einen Edelstahltank gefüllt. Vielleicht wagen wir es in der Zukunft einmal, ein Holzfass zu verwenden, doch für Anfänger ist der moderne Behälter durch die einfache Anwendung wahrscheinlich besser geeignet. Auf eine feinere Filterung haben wir bewusst verzichtet, lagern doch gerade in den Feststoffen die gesundheitlichen Vorzüge des Weins. Reiner Wein im Sinne der Naturbelassenheit eben, statt bloss im Design.

Nun mussten wir uns erneut in Geduld üben, denn im Tank sollte der Wein noch bis tief in den Dezember hinein reifen. Einmal im Monat gönnten wir uns eine Probe um seine Entwicklung verfolgen zu können. In der Zwischenzeit versüssten wir uns das Warten, indem wir aus dem Trester Aguardente (Schnaps, in Italien Grappa) herstellten. Dazu verwendeten wir ein Alambique (Destilliergerät aus Kupfer). Über dieses Abenteuer werden wir allerdings an anderer Stelle berichten, da es den Rahmen des vorliegenden Berichts sprengen würde.

 

Im Spiegel des reinen Weins

Kurz vor Weihnachten war endlich der Moment der Wahrheit gekommen: Die Verköstigung unseres ersten eigenen Weins. Es war ein freudiger und spannender Moment. Wie wirkte sich die Zusammensetzung der Traubensorten auf den Geschmack aus? War die Reife gut verlaufen oder ist gar nur Essig entstanden? Werden wir den Wein mögen, nicht nur weil es unser eigener ist? Oder wird es einer von jenen gewöhnungsbedürftigen Landweinen, welche wir schon zu kosten die Ehre hatten, und die ohne den Stolz seiner Hersteller die Grenze zur Ungeniessbarkeit überschritten hätten?

Nun, der Autor ist kein Sommelier und auch seine Gefährtin ist keine Expertin für Wein. Es fehlen also die Worte für eine fachliche Kritik und auch Unbefangenheit ist nicht gegeben. Um dieses Getränk zu beschreiben, wäre es vielleicht förderlich, der Autor möge sich ein Glas davon gönnen, denn wie Platon sagt:

Vergebens klopft, wer ohne Wein ist, an der Musen Pforte an.

 

Doch pflegt er seine Schreibarbeiten jeweils vor dem Mittag zu erledigen und nur selten kommt es vor, dass wir den Genüssen alkoholischer Getränke vor dem späten Nachmittag frönen. Eine Ausnahme war – wie könnte es auch anders sein – als wir unserem Nachbarn bei der Weinlese zur Hand gegangen waren und bereits in der 10 Uhr-Pause reichlich ausgeschenkt wurde. Die Lusitanier sind wahrlich ein trinkfreudiges Volk, kein Wunder, haben sie doch ihren Namen Lusos, dem Sohn Bacchus‘ zu verdanken. Der helvetische Chronist aber entsinnt sich des noch frisch in Erinnerung verweilenden Weingenusses vom Vorabend um Worte für die Beschreibung unseres Rebsaftes zu finden:

Moscatel Tinto

Nun, ein Wein besteht zuerst einmal aus mehr als nur Geschmack. Wir würdigen diese Eigenschaft, indem wir auch seine Farbe und seine Konsistenz betrachten. Satt rubinrot und kräftiger als so mancher einfacher Wein reflektiert er nur einen Teil des Lichts, während der Rest von seinem Körper verschluckt wird. Vorauseilende Tränen der Freude triefen vom Glasrand, wenn die Flüssigkeit leicht geschwenkt wird. Die Bewegung erzeugt auch Duft, von Spiritus dominiert zuerst, da der Wein eben erst die Luft geküsst hat. Dann Süsse und Frucht, etwas Neuartiges, Fremdes, Spannendes…

Dann erheben wir das Glas langsam an die Lippen. Die Hoffnung, es möge wenigstens als Wein erkennbar sein, erfüllt sich, doch das Resultat ist tatsächlich komplexer und vielschichtiger als wir uns zu erträumen gewagt hätten. Es dominiert in Nase und Gaumen die ganz eigene Note der Moscateltrauben, was vom Weinkenner mit Bestimmtheit abgelehnt werden und für den Laiengeniesser gewöhnungsbedürftig sein dürfte. Doch anders als bei den (zu) einfachen Weinen, entwickelt sich unser Rebensaft im Glas und verändert seinen Charakter; öffnet geheime Pforten zu den Tiefen verborgener Geschmackswelten.

So viel zum Versuch einer objektiven Betrachtung. Viel wichtiger ist aber, was der Wein für uns selbst bedeutet, denn die geringe Menge, die wir in diesem Jahr herstellen konnten, deckt nicht einmal unseren Eigenbedarf. Jeder einzelne Tropfen ist so wertvoll wie ein Teil unseres eigenen Blutes und jede Flasche, die wir zu speziellen Momenten öffnen, wird bewusst genossen und zelebriert. Jedes Glas ist ein Spiegel, in den wir eintauchen und die vergangenen Momente neu erleben dürfen: Vom Pflanzen der ersten Rebe bis hin zu diesem Reinen Wein, den wir nach Jahren der Suche tatsächlich gefunden haben.

Reinen Wein eingeschenkt

Aber im Spiegel des Reinen Weins sehen wir auch in die Zukunft: Unser Wein wird sich verändern, erwachsener und ausgewogener werden. Vorderhand können und wollen wir auf die Moscatelnote nicht verzichten, wenngleich der Anteil an traditionellen Rotweinsorten zunehmen wird. Vielleicht werden wir auch einmal verschiedene Sorten produzieren. Im Enthusiasmus dieser beglückenden ersten Weinerfahrung planen wir nicht nur den Ausbau unserer Adega, sondern haben gleich auch noch einen neuen Weinberg angelegt. Ebenfalls mit einer alten portugiesischen Casta – Trincadeira – und dieses mal wollen wir von Beginn weg alles richtig machen.

Auf, dass uns die Götter wohlgesinnt sein mögen: Prost! Saúde!

 

 

Vollständige Fotostrecke „Auf Dionysos Pfaden“:

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